
Ein Stück Lebensweg gemeinsam gehen
AMSTERDAM/GSTAAD, ANITA MOSER – Anzeiger von Saanen
Nach der Käsetaufe in Gstaad 2006 und dem Startschuss in Amsterdam vor zwei Monaten ist das Projekt Powerstation Art definitiv lanciert. Namhafte politische und touristische Institutionen aus beiden Ländern haben ihre Unterstützung für den interdisziplinären Austausch zwischen den Niederlanden und der Schweiz zugesagt.
Powerstation Art ist nun definitiv lanciert
Im Val d’Anniviers wird zur Geburt eines Kindes ein Käse hergestellt und 16 Jahre lang, bis zur kirchlichen Konfirmation, gehegt und gepflegt. Diese Idee haben Hanneke Fruehauf und Renske Heddema für ein Projekt aufgenommen. «Der Lebensweg des Kindes verläuft parallel mit dem Reifungsprozess des Käses.» 14 Kinder, je sieben aus der Schweiz und der Niederlande, die meisten mit Migrationshintergrund, werden während 16 Jahren begleitet. Projektstart in der Schweiz war am 2. September 2006 mit der Käsetaufe auf dem Eggli (wir haben berichtet). Anfang November wurde das Projekt nun auch mit Erfolg in Amsterdam lanciert. Mit dabei war auch eine kleine Delegation aus dem Saanenland. Wie schon in Gstaad waren auch in Amsterdam die beiden Paten, die Schriftsteller Catalin Florescu und Ibrahim Selman, sowie die Sängerin La Lupa anwesend.

Sie sind von der Nachhaltigkeit des Projekts überzeugt: Andreas Hurni (Gemeinderatspräsident Saanen), Jean-Pierre Hoby, Direktor des Kulturdepartementes der Stadt Zürich, und Markus Iseli (Ressort Kultur, Gemeinde Saanen)
Kultur verbindet
Nicht nur Käse verbindet die beiden Länder, auch Migration und Integration sind in beiden Ländern aktuelle Themen. Und diesbezüglich erwarten die beiden Länder vom Projekt offenbar einiges an positiven Inputs – anders Hesse sich die prominente Liste an Sponsoren und Anwesenden in Amsterdam kaum begründen. Neben der Gemeinde Saanen, der Molkerei Gstaad, GST und der Kulturkommission Obersimmental Saanenland Pays-d’Enhaut wird das Projekt auch von der Stadt Zürich und der Schweizer Botschaft in Amsterdam unterstützt. Sogar Bundesbern war indirekt dabei, Aus-senministerin Micheline Calmy-Rey Hess ihre Grüsse durch Dominik Alder, Schweizer Botschafter in den Niederlanden, ausrichten. «Kunst bringt Mensehen näher zusammen, man lernt über Länder- und Sprachgrenzen hinweg zu sehen», brachte es Caroline Gehreis, Direktorin des Kulturdepartements der Stadt Amsterdam, auf den Punkt. «Und was Kultur kann, kann auch Käse – denke ich», meinte sie schmunzelnd.
Alpenwind aus dem Saanenland
Zu einem besonderen Erlebnis für Musiker und Zuhörer wurde der Auftritt des Bläserensembles aus dem Saanenland. Die Akustik im «Muziekgebouw» – es erinnert an das KKL in Luzern – war bestens geeignet für das eigens für das Projekt komponierte Stück «Alpenwind», das vor einem Jahr im Landhaus Saanen uraufgeführt wurde. Die grösste Herausforderung sei die Distanz zwischen den einzelnen Musikern (zwischen 20 und 30 Metern), erklärte Fritz Frautschi. «Aufeinander hören ist nicht möglich. Also mussten wir mit der Stoppuhr die Einsätze abstimmen.» Das Ensemble aus dem Saanenland und Obersimmental hat die Herausforderung bravourös gemeistert, das Publikum war begeistert.

Sie haben allen Grund zum Strahlen, ihr «Alpenwind» hat die Zuhörer begeistert. Von links: Stephan Kunz, Dominik Ziörjen, Cornelia Herrmann, Fritz Frautschi, Bruno Krenger und Marcel Romang.
Leben und Schreiben in zwei Welten
Ein Leben in verschiedenen Kulturen, mit verschiedenen Hintergründen kennt auch Schriftsteller Catalin Florescu. Vor 25 Jahren ist der Rumäne mit seinen Eltern in die Schweiz emigriert. Eine «Lotterieheimat» sei die Schweiz für ihn. «Mit Wahlheimat hat das gar nichts zu tun. Die Schweiz ist meine zufällige Heimat. Wir waren auf dem Weg nach Deutschland und blieben in Zürich hängen.» Er könne nicht sagen, in welcher Sprache er denke oder träume: «Rumänisch ist die Sprache meiner Kindheit. Deutsch ist die Sprache des Exils, meines Unglücks, aber auch der Bemühung, die Wunden zu schliessen», sagte Florescu. Rumänien sei ein Land der Mythologien, des Aberglaubens und der Geschichten, die Rumänen Geschichten-Erzähler und er ein Geschichten-Sammler, sagte der Autor von «Der blinde Masseur» im Gespräch mit dem bekannten Fernsehmoderator Patrick Rohr. Mit dem Buch entführt Florescu den Leser in eine fremde und ferne Welt, eine Welt, die dem Autor näher liegt als die Schweiz, obwohl er schon seit 25 Jahren hier lebt. So arm Rumänien auch sei, ihm habe es die saftigsten Geschichten gebracht. «Der Preis, den man dafür bezahlt, ist ein Stück Armut und Rückständigkeit», betonte er. Mit dem Wohlstand! gehe die Tradition des Geschichtenerzählens zurück, ebenso die Rituale.
Konzert mit Jeremy Menuhin
«Nichts ist so international verständlich wie Musik. Keine Sprache ist notwendig, um sie zu begreifen», wandte sich Andreas Hurni, Gemeinderatspräsident von Saanen, an die multikulturelle Zuhörerschaft im Konzerthaus «Beurs van Berlage». Er hoffe, so Hurni, dass auch Powerstation Art mit Musik, bildender Kunst und Diskussionsforen einen Beitrag leisten könne an die Völkerverständigung. «Als Weltbürger kennt auch Jeremy Menuhin die Wichtigkeit der Völkerverständigung und des kulturellen Austausches», betonte Hurni, bevor der Sohn des Gründers des Menuhin Festivals Gstaad die Bühne betrat und die Zuhörer in die Welt von Beethoven, Debussy und Schubert entführte.

Jeremy Menuhin (rechts) unterhält sich angeregt mit einer Konzertbesucherin. Links Linda Grädel, Gerichtszeichnerin beim Schweizer Fernsehen, in der Mitte die beiden Projektleiterinnen Hanneke Fruehauf und Renske Heddema.
Kinder im Zentrum
Markus Iseli, als Betreuer des Ressorts Kultur, einer der «Gründerväter oder Geburtshelfer» des Projekts Powerstation Art, ist von der Nachhaltigkeit des Projekts überzeugt. «Das Projekt, das auf 18 Jahre befristet ist, bietet viele Ansatzpunkte für gute Themen, gescheite Dialoge und interessante Begegnungen.» Nun, nachdem das Projekt in beiden Ländern lanciert ist, müssten jedoch die Kinder und deren Eltern ins Zentrum rücken. «Das Projekt soll nicht zu einer Selbstdarstellung von Künstlern wer-den», betont er. «Themen, die sich anbieten, kann man aber über Kunst direkter verarbeiten, und deshalb sind die Paten wichtige Integrationspersonen für die Kinder.» Ein qualitativ wesentlicher Faktor des Projekts seien die verschiedenen Ethnien, die die ausgewählten 14 Kinder repräsentieren. Sie sorgen während des Entwicklungs- und Reifeprozesses für zusätzliche Fragestellungen. «Herkünfte und Rahmenbedingungen sind verschieden, das Ziel der Eltern bleibt sich gleich: sie wollen alle das Beste für ihre Kinder.» Das Projekt biete die Chance für eine Auseinandersetzung mit den verschiedenen Hürden, denen Eltern und Kinder mit und ohne Migrationshintergrund ausgesetzt seien. «Es gibt greifbare Themen, die alle Eltern mit Kindern in diesem Alter ansprechen. Es bietet viele kreative Ansatzpunkte, von Pädagogik über Werte bis zur Sinnfrage.» Das Projekt ziele auf Kernbereiche unserer modernen Gesellschaft und könne damit einen interessanten Beitrag leisten, ist Iseli überzeugt.

Der Vierjährige, ein Amsterdamer «Projektkind», hat den Dreh raus: zu seiner eigenen Überraschung konnte er dem Alphorn Töne entlocken.